Leserbrief an den Generalanzeiger Bonn
Das Wahlergebnis in unserer Verbandsgemeinde zeigt, wir haben - das gilt für beide etablierten Parteien - einen guten Wahlkampf gemacht, denn wie könnten sowohl CDU als auch SPD so deutlich über dem Bundesdurchschnitt, die AfD aber darunter liegen. Danke an alle.
Gleichwohl: Es wird dem Vorgang nicht gerecht, wenn nach dem Ausgang der Wahl Wählerbeschimpfung den Tenor der Beiträge ausmacht - wie fast ausschließlich am Wahlabend - , wenn die AfD-Wähler als Dumpfbacken bezeichnet, der Rechtsruck bejammert wird - es sind 13% der Deutschen, in einigen Landesteilen erheblich mehr, die bei der AfD ihr Kreuz gemacht haben und wer sie deshalb ausgrenzt, macht sich die Sache zu leicht. Und das ist den Redakteuren der Runden am Wahlabend nicht weniger vorzuwerfen als den Vertretern der alten Parteien. Noch vor dem Zusammentreten des Deutschen Bundestages wurden Verstöße gegen die Geschäftsordnung beschworen, die man mit aller Härte zu bekämpfen versprach. Beiläufig hat nur die Linkenvertreterin - zu Recht - festgestellt, auch die Medien hätten die AfD mit ihrer permanenten Fixierung groß gemacht. Der Rest der Diskussion - soweit man überhaupt von einer solchen sprechen konnte - war am Wahlabend den Spekulationen über die Regierungsbildung gewidmet. Das klang nach einem entschlossenen "Weiter so". Es gab kaum Ansätze, über die Ursachen für den Absturz der beiden großen Parteien zu reden, Rückkehr zur Tagesordnung von vor der Wahl schien die Devise. Einzig Herr Seehofer appellierte in seinen Kommentaren an die C-Parteien, vor weiteren Überlegungen intern über ihr Versagen zu diskutieren. Dem war man vor Jahresfrist wesentlich näher, als die glatt polierte Regierungsarbeit der Kanzlerin Merkel ihre Zustimmungswerte sinken ließ. Daraus entstand zu Anfang des Jahres der Schulz-Hype, der durch taktische Fehler des 100%-Vorsitzenden verspielt wurde. Also ist Selbstbesinnung auch der SPD zu empfehlen, die in Selbstlosigkeit die Schwerpunkte aus dem Koalitionsabkommen von 2013 abgearbeitet hat und den Erfolg der Kanzlerin überließ. Der Kern muss dabei sein, sich auf die ursprünglichen Werte der Sozialdemokratie zu besinnen, die auch nach 150 Jahren ihre Gültigkeit nicht verloren haben.
Was den angeblichen Rechtsruck anlangt, wäre es vor allem für die Medien in ihren Analysen vor und nach der Wahl hilfreich gewesen, eine Rückschau zu wagen, um zu erkennen, was jeweils diese Entwicklungen zu neuen Parteien befördert hat: es waren stets gesellschaftliche Umbrüche, die von den Etablierten nicht erkannt oder nicht bewältigt wurden. Man muss dazu nicht bis zu Adolf Hitler zurückgehen. In den 60er Jahren wurden die NPD und später die Republikaner groß, weil CDU/CSU/FDP stagnierten, die APO war die gesellschaftliche Konsequenz. Zum Glück für unsere Demokratie konnte das die SPD mit einem starken Vorsitzenden Willy Brandt auffangen. Als in den 80-er Jahren die Sozialforschung hohe Werte für vorgeblich Rechtsextremes diagnostizierte, wurde deutlich, es war eine eher unpolitische Angst vor Verlusten, vor Ausgrenzung, die in alle Parteien hineinreichte. Hinzu kam der Frust über die Regierung Kohl, die an einen Tiefpunkt gelangt war. Durch die Wiedervereinigung wurde das damals aufgefangen und Kohl überlebte. Nach vier Mal Kanzlerschaft Merkel und Großer Koalitionen haben wir wiederum eine vergleichbare Entwicklung. Wiederum sind aus (unpolitischer) Motivation Nichtwähler und bisherige Wähler der Regierungsparteien unter die Fittiche der AfD geflüchtet. Natürlich wurden sie mit populistischen Parolen gelockt, aber im Kern war es die Absage an die alten Parteien, denen man nicht zutraute, sie nähmen die Sorgen der Menschen ernst.
Klaus-Henning Rosen
Komm. Vorsitzender des Ortsvereins Rheinbreitbach der SPD